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Gericht: Oberverwaltungsgericht Nordrhein-Westfalen
Beschluss verkündet am 24.05.2007
Aktenzeichen: 16 B 377/07
Rechtsgebiete: StVG
Vorschriften:
StVG § 4 | |
StVG § 29 Abs. 6 | |
StVG § 29 Abs. 7 |
Tatbestand:
Der Antragsteller wandte sich gegen die sofortige Vollziehbarkeit einer Ordnungsverfügung, mit der ihm wegen des Erreichens eines Punktestandes von 18 Punkten die Fahrerlaubnis entzogen worden ist. Das VG lehnte den Antrag ab. Die Beschwerde des Antragstellers hatte Erfolg.
Gründe:
Die kraft Gesetzes (§ 80 Abs. 2 Nr. 3 VwGO i.V.m. § 4 Abs. 7 Satz 2 StVG) ausgeschlossene aufschiebende Wirkung des Widerspruchs des Antragstellers gegen die Ordnungsverfügung des Antragsgegners vom 2.1.2007 ist gemäß § 80 Abs. 5 Satz 1 VwGO anzuordnen, weil die angefochtene Ordnungsverfügung offensichtlich rechtswidrig ist und daher das Interesse des Antragstellers das öffentliche Interesse am Sofortvollzug überwiegt. Die Voraussetzungen für eine Entziehung der Fahrerlaubnis nach dem Punktsystem (§ 4 Abs. 3 Satz 1 Nr. 3 StVG) liegen nicht vor, weil der Antragsteller keinen Punktestand von 18 oder mehr aufweist, sondern derzeit lediglich noch von elf Punkten auszugehen ist.
Ausgangspunkt für die Berechnung des Punktestandes des Antragstellers ist, dass dieser im Laufe des Jahres 2004 erstmals einen Punktestand von 18 und mehr erreicht hatte, ohne dass bis dahin die bei einem Stand von 14 bis 17 Punkten vorgesehene Teilnahme an einem Aufbauseminar angeordnet worden wäre (§ 4 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 StVG). Daher war gemäß § 4 Abs. 5 Satz 2 StVG die zwischenzeitlich auf mindestens 23 Punkte angewachsene Belastung des Antragstellers auf einen Punktestand von 17 zu reduzieren. Diese Reduzierung stellt einen "echten" und dauerhaft fortwirkenden Punkteabzug dar; der Fahrerlaubnisinhaber wird also dadurch nicht etwa nur im Hinblick auf die jeweils anstehende Maßnahme nach § 4 Abs. 3 StVG vorübergehend bessergestellt.
Vgl. OVG NRW, Beschluss vom 17.6.2005 - 16 B 2710/04 -, VRS 109 (2005), 312.
Durch die Senatsrechtsprechung ist außerdem klargestellt, dass Tilgungen nach § 29 StVG, die einer Punktereduzierung nach § 4 Abs. 5 StVG nachfolgen, dem Betreffenden rechnerisch in vollem Umfang zugutekommen und nicht etwa so lange mit der vorherigen Punktereduzierung verrechnet werden, bis diese durch die nachfolgenden Tilgungen gleichsam aufgezehrt worden ist.
Vgl. OVG NRW, Beschluss vom 17.6.2005 - 16 B 2710/04 -, aaO.
Folglich verminderte sich der Punktestand des Antragstellers am 29.11.2005 um drei Punkte (dies betraf eine am 14.10.1999 begangene und mit Rechtskrafteintritt am 29.11.2000 geahndete Ordnungswidrigkeit) und am 10.7.2006 um weitere vier Punkte (betraf eine am 14.4.2001 begangene und zum 10.7.2001 rechtskräftig geahndete Ordnungswidrigkeit). Die zuletzt genannte Tilgung unterlag entgegen der Ansicht des VG weder der sog. Überliegefrist von einem Jahr gemäß § 29 Abs. 7 Satz 1 StVG, noch konnte die Begehung einer weiteren Verkehrsordnungswidrigkeit am 2.2.2006 - deren Ahndung am 15.9.2006 rechtskräftig geworden ist - zu einer weiteren Tilgungshemmung nach § 29 Abs. 6 Satz 1 und 2 StVG führen. Denn die Tilgung der Ordnungswidrigkeit vom 14.4.2001/10.7.2001 beruhte gemäß § 29 Abs. 6 Satz 4 StVG allein - unabhängig von zwischenzeitlichen Verurteilungen - auf dem Ablauf von fünf Jahren seit der rechtskräftigen Ahndung. Da die nach Eintritt der Tilgungsreife einsetzende Überliegefrist nach § 29 Abs. 7 Satz 1 StVG ausschließlich die Funktion hat, eine Tilgungshemmung auch dann zu ermöglichen, wenn vor dem Eintritt der Tilgungsreife eine neue Tat begangen, diese aber erst nach dem Eintritt der Tilgungsreife, aber vor dem Ablauf der Überliegefrist, rechtskräftig geahndet worden ist, vgl. OVG M.-V., Beschluss vom 29.7.2002 - 1 M 79/02 -, VRS 104 (2003), 153; Hentschel, Straßenverkehrsrecht, Kommentar, 38. Aufl., § 29 StVG Rn. 11, passt der von § 29 Abs. 7 Satz 1 StVG verfolgte Zweck von vornherein nicht auf den hier gegebenen Fall einer gleichsam absoluten, allein vom Zeitablauf abhängigen Tilgung. Denn vorliegend konnte es wegen der vorrangigen Geltung des § 29 Abs. 6 Satz 4 StVG überhaupt nicht mehr zu einer weiteren Tilgungshemmung nach § 29 Abs. 6 Satz 1 und 2 StVG kommen.
Eine mit vier Punkten bewertete Ordnungswidrigkeit, begangen am 5.6.2005, ist ungeachtet der erst am 28.4.2006 und damit nach der Punktereduzierung eingetretenen Rechtskraft ihrer Ahndung vom Antragsgegner zutreffend nicht berücksichtigt worden. Denn Sinn und Zweck des Punktsystems erfordern es, dass die von der Fahrerlaubnisbehörde nach § 4 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 und 3 StVG zu treffenden und im Vorfeld einer möglichen Entziehung der Fahrerlaubnis verkehrserziehend auf den Fahrerlaubnisinhaber einwirkenden Maßnahmen diesen auch erreichen und er sein Verkehrsverhalten entsprechend ausrichten kann, bevor er einen Verkehrsverstoß begangen hat, mit dem er auf Grund der Punktebewertung die nächste Stufe des Maßnahmekatalogs erreicht. Um dies sicherzustellen, muss - trotz der grundsätzlichen Ausrichtung am Datum der Rechtskraft der ahndenden Entscheidung für das "Sich-Ergeben" oder "Erreichen" eines Punktestandes - in solchen Fällen ausnahmsweise auf den Tattag abgestellt werden.
Vgl. OVG NRW, Beschluss vom 9.2.2007 - 16 B 2174/06 -, Juris.
Somit schlägt zulasten des Antragstellers lediglich die zu einem Punkt führende Verurteilung wegen der Geschwindigkeitsüberschreitung vom 2.2.2006 zu Buche. Unter Berücksichtigung der erwähnten Tilgung zweier insgesamt mit sieben Punkten bewerteter Ordnungswidrigkeiten ergibt sich damit ein Stand von elf Punkten, der gemäß § 4 Abs. 3 Satz 1 Nr. 3 StVG nicht zur Entziehung der Fahrerlaubnis berechtigt.
Ende der Entscheidung
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